Barcelonas Offensivfußball: Erinnerungen an die ganz großen Zeiten
Hansi Flick hat den FC Barcelona wieder zum Maß der Dinge gemacht. Nach dem 4:0 gegen dem BVB in der Champions League staunen die Beobachter.
Doch weil beide zu den uneitlen Typen der Branche zählen, hielt sie das nicht von einem angeregten Gespräch in aller Freundschaft ab. Zu bereden gab es sicher genug. Wie Barça schon in den ersten sieben Spielminuten vier klare Torchancen gehabt hatte, zum Beispiel. Wie der BVB danach phasenweise besser in die kompakte Verfasstheit kam, die Kovač sich ausgemalt hatte, als er seine Abwehr gegen Barças starke Flügel eigens von einer Dreierkette auf eine Viererkette umstellte. Wie Serhou Guirassy kläglich zwei Chancen vergab, die den BVB beim Stand von 0:1 zurückbringen hätten können.
Vielleicht sprachen sie auch über die Demonstration in der zweiten Hälfte, mit der Barça die Runde wohl schon zu seinen Gunsten entschied. Über Dortmunds ewigen Peiniger Robert Lewandowski, der mit zwei Treffern am Mittwoch seinem Ex-Klub in 28 Pflichtspielen seit seinem Abgang 2014 nun 29 Tore eingeschenkt hat. Über den Brasilianer Raphinha, der mit einer unnötigen Ballberührung auf der Torlinie aus abseitsverdächtiger Position sein Team beinahe um das Führungstor gebracht hatte und über diesen Egoismus selbst so erschrak, dass er fortan nur noch vorlegte, zweimal zu Toren.
Über Lamine Yamal, dieses 17-jährige Phänomen. Zwei Treffer leitete er mit dem vorletzten Pass ein. Der vor dem 3:0, scheinbar durch die BVB-Abwehr hindurch, musste nicht nur Barçologen an Lionel Messi erinnern. Den Schlusspunkt setzte er selbst, wie beiläufig mit der Pike trotz wuchtiger Bedrängnis von Emre Can.
Enfesseltes Spiel
145 Tore hat dieses Barça diese Saison schon geschossen, Raphinha (zwölf Tore) und Lewandowski (elf) führen die Champions-League-Schützenliste an. Fest scheint Flicks Combo auf Triplekurs zu zusteuern, mit dem derzeit ähnlich entfesselten Paris Saint-Germain von Ex-Barça-Coach Luis Enrique als vermutet härtestem Rivalen im Europapokal und einem Pokalfinale gegen Real Madrid in zwei Wochen als erster Titelchance. Jenem Madrid, das man in dieser Saison bereits 4:0 auswärts in der Liga und 5:2 im spanischen Supercup-Finale abgefertigt hat.
Im Vergleich mit dem Überschwang jener Partien oder auch dem 4:1-Exorzismus gegen den jahrelangen Angstgegner FC Bayern in der Gruppenphase ging es gegen Dortmund vergleichsweise routiniert zur Sache. Das lag nicht nur daran, dass im Ausweichstadion auf dem Montjuïc noch weniger Stimmung aufkommt, seit die Klubführung wegen eines Streits über unbezahlte Strafzettel die Ultras aus der Kurve verbannte. Es zeigte auch, wie sehr Barça kurz vor seinem ersten Europapokal-Halbfinaleinzug seit 2019 schon wieder in der Selbstverständlichkeit der Dominanz angekommen ist.
Während Kovač sich in das Offensichtliche fügte („Einen kannst du ausschalten, aber alle?“), machten im katalanischen Teil der Interviewzone schon größte Vergleiche die Runde. Ob dieses Barça nicht an das von Pep Guardiola erinnere, wurde der junge Offensivspieler Fermín López gefragt. Ob Lamine, Lewandowski und Raphinha, die „LLR“, so gut wie die „MSN“, das legendäre Trio aus Messi, Suárez und Neymar seien, oder vielleicht gar besser, sollte Linksverteidiger Alejandro Balde beantworten. Und nicht zuletzt, immer wieder: Was hat es auf sich mit diesem Hansi Flick?
Guardiolas Team und Luis Enriques MSN gewannen gleich in ihrer ersten Saison das Triple, dem Deutschen wird Ähnliches zugetraut – mit einem Kader, der gegenüber der deprimierenden Vorsaison nur um den (oft verletzten) Dani Olmo erweitert wurde. Aber weil die Spieler ihrem bescheidenen Trainer wirklich „in allem folgen“ (Fermín), überlassen sie die Analysen und Elogen den staunenden Beobachtern. Flick hat Barça wach geküsst, revolutioniert, wieder zum Maß der Dinge gemacht. Doch darüber prahlen würde einer wie er nicht mal versteckt hinter Sponsorenwänden.
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